02.03.2024 - 10:10 | Quelle: Transfermarkt.de | Lesedauer: unter 15 Min.
1.FSV Mainz 05 U19
Jan Kirchhoff
Mainzer U19-Coach im TM-Interview 

Kirchhoff: „Nicht bloß ein Ex-Profi, der nicht weiß, was er auf dem Trainingsplatz macht“

Mainz 05 U19: Jan Kirchhoff über Trainer-Job, Verletzungen und Karriere
©1.FSV Mainz 05/TM

Jan Kirchhoff ist wieder beim 1. FSV Mainz 05. Der 33-Jährige kehrte jüngst zurück an seine frühere Wirkungsstätte und erste Station im Profibereich. Mit wertvollen Erfahrungen im Gepäck will der gebürtige Frankfurter den ohnehin derzeit stark aufspielenden Nachwuchs der Nullfünfer aufs nächste Level bringen. Im Transfermarkt-Interview spricht Kirchhoff über seinen Job, seine Vorstellung von Fußball, beeindruckende Impressionen von Thomas Tuchel & Co. und seinen kritischen Blick auf den Umgang mit Blessuren. Zudem verrät er ohne Groll, wie er noch mehr aus seiner Karriere hätte herausholen können.


Transfermarkt: Herr Kirchhoff, sind Sie in Ihrem neuen Job schon angekommen?


Jan Kirchhoff: Ja, es fühlt sich richtig gut an und ich fühle mich echt wohl. Für mich war es ein bisschen wie nach Hause kommen. Ich kenne noch sehr viele Leute und alles, was ich mir erhofft habe, ist genauso eingetreten. Ich finde eine richtig coole Kultur vor.


Transfermarkt: Hat sich an Ihrer alten wie neuen Wirkungsstätte trotzdem was getan?


Kirchhoff: Es hat sich viel verändert. Der Verein und die Infrastruktur sind total gewachsen – aber trotzdem ist auch einiges gleichgeblieben. Der freundliche Umgang der Mainzer und die Begeisterung für den Fußball sind noch immer vorhanden.


Mitarbeiter
Jan Kirchhoff
J. Kirchhoff Alter: 33
1.FSV Mainz 05 U19
1.FSV Mainz 05 U19
Saison 23/24 -
A-Jgd. BL S/SW
Spiele
8
Gewonnen
5
Unentschieden
0
Verloren
3


Transfermarkt: Wann war klar, dass aus Ihnen mal ein Trainer wird?


Kirchhoff: Relativ früh. Das war immer mein Wunsch. Mein Dad hat uns so unser Leben lang begleitet und war mein erster Trainer. Und spätestens unter Thomas Tuchel in der A-Jugend war dann klar, dass ich das auch machen möchte. Ich fand es beeindruckend, wie schnell er uns und mich besser machte. Dazu kam, dass ich schon früh mit Verletzungen konfrontiert wurde und ich mich stärker damit beschäftigt habe.


Jan Kirchhoff arbeitete von Juli 2021 bis Februar 2024 im Nachwuchs des VfB Stuttgart – danach übernahm er die U19 des 1. FSV Mainz 05
Jan Kirchhoff arbeitete von Juli 2021 bis Februar 2024 im Nachwuchs des VfB Stuttgart – danach übernahm er die U19 des 1. FSV Mainz 05


Transfermarkt: 2009 riss Ihnen in der Mainzer U19 die Achillessehne.


Kirchhoff: In dem Moment fand ich es nicht so schlimm, weil ich früh im Hinterkopf hatte: Wenn ich nicht Fußball spielen kann, dann werde ich Fußball lernen und lehren. Es hat dann rund zehn Jahre gedauert, bis ich damit anfangen durfte. Aber der Plan war schon die ganze Zeit im Hinterkopf.


Leistungsdaten
Jan Kirchhoff
J. Kirchhoff Defensives Mittelfeld
Gesamte Leistungsdaten
Alle Wettbewerbe
Spiele
222
Tore
7
Vorlagen
5


Transfermarkt: Hat Ihnen diese Denke – früher oder später ohnehin als Trainer arbeiten zu wollen – während der ständigen Verletzungsrückschläge geholfen?


Kirchhoff: Der Plan ist zunächst ein bisschen in den Hintergrund geraten. Während meiner aktiven Zeit habe ich ihn in die Schublade gelegt und war einfach nur Spieler. Ich hatte auch keinen Drang danach, kein Fußballspieler mehr zu sein, um Trainer zu werden. Das kam erst, als ich bei meiner Rückkehr aus England nach Deutschland zum 1. FC Magdeburg gemerkt habe, dass ich mein Niveau nicht halten kann. Ich hatte nicht mehr die Leistungsfähigkeit, die ich selbst von mir erwarte. Ich wusste, es kommt langsam zum Ende. Dann habe ich meinen Plan wieder herausgekramt und bin aktiv in die Vorbereitung gegangen. Der Wechsel zum KFC Uerdingen war für mich der Startschuss. Ich konnte noch ein bisschen das Spielerdasein genießen – aber es ging noch maximal drei, vier Jahre. So habe ich in Uerdingen schon im Jugendbereich mitgearbeitet und mich damit beschäftigt, wie ich meine Trainer-Lizenzen erwerben kann.



Transfermarkt: Was war ausschlaggebend für Ihren Wechsel von der Stuttgarter U17 zur Mainzer U19?


Kirchhoff: Die Gelegenheit kam für mich überraschend. Ich habe mich in Stuttgart superwohl gefühlt. Es war der perfekte Ort zum Start meiner Trainerkarriere und eine total bewusste Entscheidung weiter unten in der U15 anzufangen. Ich habe so inhaltlich unglaublich viel gelernt, bin in den zweieinhalb Jahren sehr gewachsen und bleibe dem Verein daher immer verbunden. Dennoch: Eine U19-Stelle in einem NLZ, das über Jahre hinweg sehr gute Arbeit macht, ist etwas Besonderes und nicht so einfach zu bekommen. Die Mainzer haben mich unfassbar schnell begeistert, zudem habe ich eine persönliche Bindung zum Verein. Es ist genau das richtige Engagement zur richtigen Zeit. Wir sind daher relativ schnell zusammengekommen.


Trainiert die Mainzer U19: Kirchhoff will langfristig Spuren beim FSV hinterlassen


Transfermarkt: Sie haben als „Wunschkandidat“ bis 2027 unterschrieben. Für einen Trainervertrag ist das eine lange Laufzeit. Was sieht Ihr Fahrplan bis dahin vor?


Kirchhoff: Ich bin relativ gut darin, im Moment zu leben und diesen zu genießen, deshalb plane ich nicht jeden einzelnen Schritt im Detail voraus – das sollte man im Fußball ohnehin vermeiden. Ich hoffe aber, dass ich wirklich lange in Mainz bleiben kann, auch über den jetzigen Vertrag hinaus. Das ist mein Wunsch. Als nächstes steht für mich die Pro-Lizenz an. Dafür benötige ich allerdings zwei Jahre Erfahrungswerte in der U19 oder in einem höheren Altersbereich wie der U23, bis ich mich überhaupt bewerben kann. Mir macht es aktuell einfach so viel Spaß, der bestmögliche U19-Trainer zu sein und mich in der neuen Aufgabe step by step weiterzuentwickeln.


Transfermarkt: War auch eine Management-Karriere oder ein Job außerhalb des Fußballs für Sie mal Thema?


M05, FCB, S04 Co. Spielerkarriere von Jan Kirchhoff Vereine und Leistungsdaten Kirchhoff: Ja, zwischenzeitlich. Während meiner Fußballkarriere hatte ich Momente, in denen ich ein bisschen müde war und mir vorstellen konnte, mal gar nichts mit Fußball zu tun zu haben. Das waren aber sehr kurze Momente. Eigentlich waren die Begeisterung und der Wille, dabei zu bleiben, immer präsent. Ich konnte mir aber nie vorstellen, Manager zu werden. Weil ich es zu sehr genieße, Teil eines Teams zu sein und auf dem Platz zu stehen. Deshalb habe ich mich relativ früh festgelegt und nicht weiter nach rechts und links geschaut.


Transfermarkt: Erklären Sie uns Ihren Fußball: Wie möchten Sie spielen lassen?


Kirchhoff: Am Wichtigsten ist mir, dass sich die Jungs auf dem Platz wohlfühlen. Ich versuche stets, Positionsaufgaben zu finden, die die Stärken der Spieler anerkennen und diesen entgegenkommen. Das geht nur, wenn sie das Gefühl haben, der bestmögliche Spieler auf dem Platz sein zu können.



Die Top-Teams zeichnet ein gewisser Rhythmuswechsel aus. Den möchte ich einbringen und verfeinern.



Transfermarkt: Und darüber hinaus?


Kirchhoff: Ich bin natürlich auch von Thomas Tuchel und Pep Guardiola geprägt und würde am liebsten das Spiel über die ganze Zeit kontrollieren – wohlwissend, dass das nicht immer möglich ist. Ich möchte eine Truppe auf dem Platz haben, die aggressiv Fußball spielt, hohes Angriffspressing spielt, um den Ball in der gegnerischen Hälfte schnell zurückzugewinnen, und die in der Lage ist, Angriffe vorzubereiten. Was mir im Weltfußball momentan auffällt: Die Top-Teams zeichnet ein gewisser Rhythmuswechsel aus. Den möchte ich einbringen und verfeinern. Ich habe in Stuttgart versucht, ein großes Augenmerk darauf zu legen, um aus dem eigenen Ballbesitz heraus schnelle Angriffe zu kreieren.


Gemeinsame Zeiten in Mainz: Thomas Tuchel (l.) hinterließ Eindruck bei Jan Kirchhoff
Gemeinsame Zeiten in Mainz: Thomas Tuchel (l.) hinterließ Eindruck bei Jan Kirchhoff


Transfermarkt: Und wer hat Sie am meisten geprägt?


Kirchhoff: Unter Thomas Tuchel ist über die Jahre viel hängen geblieben, was Teamführung, Spielprinzipien und Begeisterungsfähigkeit angeht. Jeder im Team sollte daran teilhaben und seine Fähigkeiten in seiner Rolle zur Verfügung stellen. Das hat Thomas wie kein Zweiter geschafft. Und dann kam natürlich Pep Guardiola, bei dem ich nicht so viel Zeit verbracht habe, der mich aber schwer beeindruckt hat: im Detail, im Prinzipiencoaching und in der Art und Weise, das Spiel zu verstehen. Wie er seine Begeisterung und Liebe für Fußball ausdrückt. Da war und ist er herausragend. Das ist auch das, was mich antreibt, wenn ich vor den Jungs stehe und über meine Spielideen und den Matchplan für den nächsten Gegner rede. Diese Begeisterung sollen sie spüren.



Transfermarkt: Wie war Ihre Erfahrung bei anderen Trainern?


Kirchhoff: Von jedem habe ich etwas mitgenommen. Es waren auch Sachen dabei, bei denen ich dachte: ‚So kann ich das auf keinen Fall machen, das sehe ich komplett anders.‘ Das war ebenfalls lehrreich. Sam Allardyce, über den viele schmunzeln, war in der Teamführung und beim Vertrauen gegenüber seinen Spielern unglaublich. Er hat uns viel Freiraum gelassen.


Transfermarkt: Welche Bindung pflegen Sie zu Ihren Spielern?


Kirchhoff: Mir ist sehr wichtig, eine gewisse Kultur zu prägen und zu implementieren, in der sich jeder wohlfühlt und Spaß hat. Es ist leistungsfördernd, wenn jeder gerne zur Arbeit kommt. Gegenseitiger Respekt, Anerkennung und Wohlwollen sind die Basis. Ich versuche, immer ansprechbar zu sein, und trotzdem weiß ich auch, dass es eine gesunde Distanz zwischen Spieler und Trainer braucht. Ich möchte jeden Spieler individuell behandeln – und mir auch selber treu bleiben: In einem Moment kann das eher autoritär sein, im anderen ganz nah.


Transfermarkt: Der starke Mainzer Nachwuchs hat sich im Achtelfinale der Youth League gegen Manchester City durchgesetzt. Was zeichnet die Nullfünfer im Vergleich mit der internationalen Konkurrenz aus?


Kirchhoff: Wenn man nach Mainz ins NLZ kommt, fühlt sich alles nach ursprünglichem Fußball an. Das ist richtig cool und einmalig bei aller Professionalisierung der NLZs. Mainz ist der Standort, an dem Fußball noch am meisten gefühlt wird, es gibt eine Wettkampfhärte und Leidensbereitschaft – das bringen die Jungs über Jahre hinweg auf den Platz. Damit sind sie in der Lage, auch international konkurrenzfähig zu sein.



Transfermarkt: Ihr erster Trainerschritt war 2019 in Uerdingens Nachwuchs. Haben Sie sich sofort zurechtgefunden oder wurde Sie mit unerwarteten Dingen konfrontiert?


Kirchhoff: Ich blicke gerne auf die Zeit zurück, weil ich noch gar keine Ahnung hatte, wie ich das genau machen sollte. Als noch spielender Profi wusste ich zwar, wie ich mit den Jungs umgehen und was ich ihnen vermitteln möchte, aber was die Trainingsstruktur, -methodik und den Aufbau einer Trainingswoche anging – da war ich richtig blank und musste manchmal schmunzeln, weil ich mich trotzdem hingestellt habe und der Meinung war, dass ich das kann. Es war sehr lehrreich zu erkennen: Es funktioniert nicht, Profi zu sein, heute aufzuhören und morgen Trainer zu sein. Wenngleich Jürgen Klopp das beste Beispiel dafür ist, dass es auch anders geht. (lacht) Ich merkte, dass ich noch viel zu lernen habe, trotzdem hat es sehr viel Spaß gemacht. Das Feedback aus dem Team war positiv.


Mitarbeiter
Jürgen Klopp
J. Klopp Alter: 56
1.FSV Mainz 05
1.FSV Mainz 05
Alle Saisons -
Alle Wettbewerbe
Spiele
270
Gewonnen
111
Unentschieden
73
Verloren
86


Transfermarkt: Wie nehmen Sie den Jugendfußball in Deutschland wahr? Braucht es Anpassungen, um wieder mehr künftige Top-Stars entwickeln zu können?


Kirchhoff: Es ist Fakt, dass die Franzosen und die Engländer gerade einen Vorsprung haben. Ich sehe das aber als eine ganz natürliche Wellenbewegung. Wir hatten damals in Deutschland mit der Einführung der NLZ einen großen Umbruch. Wir sind jetzt wieder dabei, einen solchen zu schaffen. Der DFB hat die Trainerausbildung komplett revolutioniert. Es gibt ab Sommer eine neue Spielrunde, die Junioren-Bundesligen werden abgeschafft. Das sind die ersten Schritte, um etwas Neues in der Ausbildung auszuprobieren. Ich bin mir zudem sicher, dass wir eine neue Generation haben, die konkurrenzfähig ist. Ich sehe es nicht ganz so schwarz, wie es teilweise gezeichnet wird, sondern glaube, dass wir weiterhin das ein oder andere hochbegabte Talent haben, das auf hohem Niveau spielen kann.


Kirchhoff spricht über Besonderheiten in England und Ex-Profis als Trainer


Transfermarkt: Sie haben das Umfeld bei etwas kleineren Vereinen wie Mainz kennengelernt, aber auch bei großen und emotionsgeladenen Klubs wie Bayern und Schalke. In welchem Umfeld kann man sich als Spieler einfacher bewegen?


Kirchhoff: Beide Möglichkeiten sind denkbar. Für junge Spieler ist es erst einmal wichtig, eine Chance zu bekommen. Das Gefühl vermittelt zu bekommen: ‚Wir zählen auf dich.‘ Und es braucht gefestigte Strukturen wie zum Beispiel aktuell in Stuttgart. Ein Verein, der durch turbulente Phasen geht, ist hinderlich für ein Talent, das ins Profiteam will. Als junger Spieler ist es ganz schwer, irgendwo reinzukommen und direkt etwas retten zu müssen. In einer gefestigten Bundesliga-Mannschaft gibt es auch mal die Freiheit, etwas auszuprobieren. Mein Rat an die Jungs, wenn sie aus der A-Jugend kommen: Sucht euch einen Trainer und Verein, der sich für euch persönlich gut anfühlt und wo ihr wisst, worauf ihr euch einlasst.



Das angehäufte Fachwissen und die finanziellen Mittel gerade in Sunderland waren beeindruckend.



Transfermarkt: Sie waren in der Premier League für Sunderland und in der Championship für die Bolton Wanderers am Ball. Mit welchen für Sie spannenden Erkenntnissen?


Kirchhoff: Die Trainingswoche ist zum einen ganz anders strukturiert als in Deutschland, auch aufgrund der vielen Spiele wurde anders priorisiert. Es gab deutlich mehr Krafttraining und es wurden viel mehr Daten erhoben. Zum Beispiel über Omega-Messungen, mit denen sich erkennen lässt, wie hoch Ermüdungszustand und Schlafqualität sind. Das angehäufte Fachwissen und die finanziellen Mittel gerade in Sunderland waren beeindruckend. Zum anderen herrscht in England ein anderer Vibe in einem Trainingszentrum.



Transfermarkt: Inwiefern?


Kirchhoff: Die meisten Vereine haben ihr Trainingszentrum außerhalb der Stadt, weg von den Fans und mit nichts drumherum. Es ging durch eine Schranke ins Trainingszentrum – ansonsten war da keiner mehr. So entstand eine gewisse Entspanntheit. Du kamst dorthin, um deinen Tag zu verbringen und nicht nur dein Training abzuhalten und wieder nach Hause zu fahren. Das hat mir gefallen. Auch deshalb ist bei mir die Idee entstanden, eine Mannschaft führen zu wollen, die gerne beisammen ist und viel Zeit miteinander verbringt. Das haben die Engländer auf eine natürliche Art und Weise geschafft.


Transfermarkt: Sehen Sie sich langfristig gesehen als Bundesliga-Trainer oder können Sie sich auch vorstellen, dauerhaft im Nachwuchsbereich zu arbeiten?


Kirchhoff: Im Moment will ich der beste A-Jugend-Trainer sein, der ich mit aller Energie sein kann. Ich versuche immer, zwischen einem Traum und meinen Zielen zu unterscheiden: Ja, mein Traum ist es, auf höchstem Niveau im Herrenbereich zu arbeiten. Und deshalb setze ich alles in Bewegung, um diesen zu erfüllen. Es geht aber nur über realistische Zwischenziele und entsprechend notwendige Lizenzen. Und es macht mir aktuell so viel Spaß, dass ich mir auch eine langfristige Karriere im Jugendbereich vorstellen kann.


Transfermarkt: Sind Ex-Profis mit Bundesliga-Erfahrung die besseren Trainer?


Kirchhoff: Nein, es gibt viele Wege. Was mir aber wichtig ist: dass man auch als Ex-Profi ein guter Trainer sein kann. (schmunzelt) Das wird ja manchmal so dargestellt, dass das nicht möglich wäre. Ehemalige Spieler haben das Ganze erlebt und gefühlt und nicht nur durchdacht. Das kann ein Vorteil sein. Ich versuche, ein wirklich guter Trainer zu sein und nicht bloß ein Ex-Profi, der nicht weiß, was er auf dem Trainingsplatz macht. Auch deswegen habe ich bewusst in einer U15 als Co-Trainer mit meiner Trainerkarriere begonnen, um so das Trainerhandwerk von der Pike auf zu erlernen.


Transfermarkt: Was würde der Trainer Kirchhoff dem Spieler Kirchhoff heute mit auf den Weg geben?


Kirchhoff: Vor allem, zunächst entspannter zu werden. Ich war als Spieler sehr verkrampft und verbissen. Da hätte mir eine gewisse Entspanntheit gutgetan. Und dann wäre ich wahrscheinlich sehr viel auf mich zugegangen und hätte versucht, für Verständnis bei Entscheidungen zu werben und Lernprozesse zu erklären. Ich war als Spieler sehr wissbegierig und teilweise zu zielorientiert, ich wollte die ganze Zeit mehr. Wenn ich heute auf Spieler zugehe, dann geht es für mich darum, einen Mittelweg für sie zu finden: einerseits den Hunger und eine gewisse Verbissenheit beizubehalten, dabei aber trotzdem entspannt zu sein.



Transfermarkt: Gehen Sie, mit Ihrer Verletzungshistorie, schonender mit Spielern um bzw. schärfen sie ihr Bewusstsein, Acht auf sich und ihren Körper zu geben?


Kirchhoff: Ich habe den Anspruch, Spieler individuell zu betrachten. Ich glaube, dass es keinen Lösungsweg gibt, der für alle passt. Mein Ziel ist es, der Belastungsverträglichkeit von Spielern gerecht zu werden. Ich habe das Gefühl, dass ich in meiner Karriere nicht den richtigen Weg gefunden habe, was ich vertragen kann und was mir nicht guttut. Ich will Spieler dabei unterstützen, das für sich selbst herauszufinden. Das ist mir ein großes Anliegen. Das Verständnis im Leistungssport mit Blick auf Schmerzen und Unwohlsein sehe ich kritisch. Ich glaube, dass man nicht mit Schmerzen Fußball spielen muss, ich finde das nicht normal. Da bin ich noch zu sehr Spieler. Gesundheit geht vor. Eine Profikarriere ist sehr kurz. Es ist unsere Verantwortung, keinen Raubbau am Körper begehen und niemanden ins Verderben zu schicken, nur um Ergebnisse am Wochenende zu beeinflussen.


Jan Kirchhoff im Trikot des 1. FC Magdeburg, das er in der ersten Jahreshälfte 2019 zehnmal trug
Jan Kirchhoff im Trikot des 1. FC Magdeburg, das er in der ersten Jahreshälfte 2019 zehnmal trug


Transfermarkt: Wären Sie jeden Schritt in Ihrer Spielerkarriere heute genauso gegangen?


Kirchhoff: Ja, bis zu meiner Zeit in Sunderland würde ich auf jeden Fall alles wieder so machen, ich bereue nichts. Ich habe die Entscheidungen in dem Moment aus voller Überzeugung getroffen. Und ich bin der Meinung, dass man dann auch mit allen Konsequenzen leben muss. Nach Sunderland, und das muss man ehrlich sagen, haben sich die Möglichkeiten für mich minimiert. Ich war teilweise gezwungen, Sachen zu machen, um arbeiten zu können. Das gehört zum Geschäft und sind bis heute wichtige Learnings für mich.


Kirchhoff blickt auf Profikarriere zurück: „Bin heute ziemlich im Reinen mit mir“


Transfermarkt: Haben Sie aus Ihrer Spielerkarriere alles herausholen können oder wäre deutlich mehr drin gewesen?


Kirchhoff: Ich habe das Gefühl, dass ich, wenn ich vor allem mein mentales Befinden besser unter Kontrolle gehabt hätte, länger auf höherem Niveau hätte spielen können. Dennoch glaube ich manchmal auch, dass es gut für mich ist, dass es so gekommen ist. Ich stand vor einigen schweren Aufgaben und musste mich immer wieder selbst hinterfragen, ob das alles richtig ist, was ich hier mache. Ich bin heute ziemlich im Reinen mit mir und sogar froh darüber, dass ich viele schwierige Phasen als Profi erleben musste. Den Erfahrungsschatz gebe ich gerne an meine Jungs weiter.



Transfermarkt: Laut unserer Datenbank haben Sie rund 250 Spiele verletzungsbedingt verpasst. Wie oft haben Sie Ihre Situation in der Vergangenheit verflucht?


Kirchhoff: Verletzungen waren das eine Thema. Zudem war ich zweimal für ein halbes Jahr vertragslos. Es gab Zeiten, in denen ich nicht spielte und das Gefühl hatte: ‚Scheiße, ich schaffe es nicht, auf dem Niveau mitzuhalten.‘ Sorgen haben mich umtrieben. Aber das ist Teil des Lebens, der beruflichen Karriere und der Persönlichkeitsentwicklung. Das Alter wird dabei oft vergessen. Mit Anfang 20 war ich noch lange nicht fertig und erwachsen, habe mich aber so gefühlt und musste auch erwachsene Entscheidungen treffen. So wurde ich als Profiathlet auch wahrgenommen und daran gemessen. Wenn ich auf die sehr jungen Spieler in der A-Jugend heute blicke: Die wissen ebenso noch nicht alles und sind noch nicht fertig entwickelt – und dafür muss man Verständnis aufbringen.


Transfermarkt: Haben Sie häufiger an ein frühzeitiges Karriereende gedacht?


Kirchhoff: Der Gedanke kam mehrfach. Nach meinem Vertragsende in Sunderland habe ich mir sechs Deadlines gesetzt. Wenn ich im Oktober nichts finden sollte, wollte ich aufhören. Dann wurde es November, Dezember – und im Januar kam zum Glück was. Ich bin jetzt letztlich froh, dass ich noch ein paar Jahre weiterkicken und weitere wertvolle Erfahrungen auch für meine jetzige Trainerkarriere sammeln konnte.


Interview: Philipp Marquardt


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Letzte Beiträge Newsforum

BustedCookie FC Bayern München BustedCookie 03.03.2024 - 12:26
Zitat von torkador
Ich weiss garnicht, warum alle so happy sind, dass er hier anfängt. Er wurde damals durch diverse Verletzungen getragen, kam aus der Jugend und ist dann undankbar ohne Ablöse gewechselt. Gut für ihn und seinen Geldbeutel, aber ich fand den Zug damals nicht so cool. Kann mich aber auch nur noch wage dran erinnern, zudem war er nie unangefochtener Stammspieler. Alles in allem bin ich gespannt, wie er sich als Trainer macht und ob er den Sprung dauerhaft schafft.

Wollen wir wieder mit der Leier anfangen?
Warum soll ein ablösefreier Wechsel denn undankbar sein? Man hat einen Vertrag unterschrieben, nach welchem man für die Leistung auf dem Platz sein Gehalt bekommt. Und diesen hat Kirchhof erfüllt. Niemand ist verpflichtet einen neuen Vertrag zu unterschreiben, durch welchen sich seine Aussichten auf einen Wechsel verschlechtern, wenn man eh wechseln möchte. Tut mir leid, aber das, was du forderst, ist idealisiertes Wunschdenken ohne irgendeinen Bezug zur Realität geschweige denn einer Betrachtung der verschiedenen Seiten.
Wäre es dir denn lieber gewesen, er hätte einen Vertrag unterzeichnet, niemand hätte die Ablöse, die Mainz wollte, gezahlt, er hätte keinen Bock mehr auf Mainz und dementsprechend hätten dann seine Leistungen ausgesehen?
torkador 1.FSV Mainz 05 torkador 02.03.2024 - 13:51
Ich weiss garnicht, warum alle so happy sind, dass er hier anfängt. Er wurde damals durch diverse Verletzungen getragen, kam aus der Jugend und ist dann undankbar ohne Ablöse gewechselt. Gut für ihn und seinen Geldbeutel, aber ich fand den Zug damals nicht so cool. Kann mich aber auch nur noch wage dran erinnern, zudem war er nie unangefochtener Stammspieler. Alles in allem bin ich gespannt, wie er sich als Trainer macht und ob er den Sprung dauerhaft schafft.
skrtcobain 1.FSV Mainz 05 skrtcobain 02.03.2024 - 11:51
Zitat von PhilippMrq
Dies ist der Diskussions-Thread zur News: Kirchhoff: „Nicht bloß ein Ex-Profi, der nicht weiß, was er auf dem Trainingsplatz macht“.

Jan Kirchhoff ist wieder beim 1. FSV Mainz 05. Der 33-Jährige kehrte jüngst zurück an seine frühere Wirkungsstätte und erste Station im Profibereich. Mit wertvollen Erfahrungen im Gepäck will der gebürtige Frankfurter den ohnehin derzeit stark aufspielenden Nachwuchs der Nullfünfer


Interessantes Interview mit einem sehr sympathischen Mann. Ich bin gespannt, was er aus unserer u19 noch rausholen kann.
Autor
PhilippMrq
Philipp Marquardt
TM-Username: PhilippMrq

Alle Beiträge des Autors
Jan Kirchhoff
Karriereende
Jan Kirchhoff
Geb./Alter:
01.10.1990 (33)
Nat.:  Deutschland
Akt. Verein:
Karriereende
Vertrag bis:
-
Position:
Defensives Mittelfeld
Marktwert:
-
Jan Kirchhoff
1.FSV Mainz 05 U19
Jan Kirchhoff
Geb./Alter:
01.10.1990 (33)
Nat.:  Deutschland
Akt. Verein:
1.FSV Mainz 05 U19
Aktuelle Funktion:
Trainer
Vertrag bis:
30.06.2027
Im Amt seit:
22.02.2024
Thomas Tuchel
FC Bayern München
Thomas Tuchel
Geb./Alter:
29.08.1973 (50)
Nat.:  Deutschland
Akt. Verein:
FC Bayern München
Aktuelle Funktion:
Trainer
Vertrag bis:
30.06.2025
Im Amt seit:
24.03.2023
1.FSV Mainz 05 U19
Gesamtmarktwert:
200 Tsd. €
Tabellenstand:
5.
Kadergröße:
26
Letzter Transfer:
Raúl König
1.FSV Mainz 05
Gesamtmarktwert:
123,85 Mio. €
Wettbewerb:
Bundesliga
Tabellenstand:
13.
Kadergröße:
27
Letzter Transfer:
Jessic Ngankam